Varianten der Differenzialsperre
Es gibt eine Vielzahl an Varianten, Konzepten und Ausführungen von Differenzialsperren. Ich möchte nachfolgend einen Überblick über die verbreitetsten und am besten für motorsportliche Zwecke geeigneten Systeme geben.
Lamellensperren (clutch-type, LSD)
Für den Einsatz im Motorsport (egal ob Rundstrecke, Rallye oder zum Driften) wird seit den 50er Jahren (!) und bis heute vorzugsweise ein "Lamellen-Sperrdifferenzial" eingesetzt. Diese Sperre beherbergt spezielle Reiblamellen-Pakete, die über Druckplatten aufeinander gepresst werden und durch (Haft- und Gleit-)Reibung ein variables Maß an Sperrwirkung erzeugen. Sie sind "drehmoment-fühlend" (torque-sensing) und i.d.R. zusätzlich mit einem Festsperrwert versehen, der die Vorspannung definiert. Dieser Sperrentyp unterliegt konstruktions- und funktionsbedingt einem Verschleiss und muss entsprechend in bestimmten Intervallen je nach Einsatzart bzw. Art der Beanspruchung revidiert werden! Dieser Interval ist aber bei einer hochwertigen und sinnvoll konfigurierten Lamellensperre sehr lang. Eine Laufleistung von über 100.000km ist i.d.R. Problemlos und mit immer noch sehr guter Performance möglich, je nach Setup auch deutlich mehr.
Der Sperrgrad kann anhand der verwendeten Reiblamellen bzw. deren Beschichtung, anhand der Anzahl und Schichtung der verwendeten Lamellenpakete sowie anhand der Spreizung der Einschnitte in den Druckringen angepasst werden. Zusätzlich kann eine sog. "Vorspannung" z.B. über Tellerfedern eingestellt werden. Diese Federn drücken die Lamellenpakete permanent etwas aufeinander und spannen diese damit vor. So liegt auch dann eine Sperrwirkung (also der o.g. "Festsperrwert") an, wenn das Differenzial "lastfrei" ist bzw. an einem Rad kein Drehmoment anliegt.
Das Lamellen-Sperrdifferenzial bietet sehr viele Anpassungsmöglichkeiten an die eigenen Wünsche und den Einsatzzweck des Fahrzeugs. Da die Lamellensperre für fast alle motorsportlichen Einsätze die Sperre der Wahl ist, habe ich dem komplexen Thema des Setups dieses Sperrentyps eine eigene Seite gewidmet.
Torsendifferentiale (gear-type, helical ATB)
Diese Differentiale sind wie die Lamellensperren ebenfalls "drehmoment-fühlend". Im Gegensatz zu echten "Sperren" könnten diese Differentiale lediglich Antriebs-Drehmoment zwischen den Antriebsrädern hin und her schieben aber die Achse nicht vollständig "sperren". Die Räder drehen in einer Kurve also immer unterschiedlich schnell. Sie können auch nicht mit einem Festsperrwert versehen werden (Ausnahme: Wavetrac System). Sofern also ein Rad in der Luft hängt oder auf einer Eisplatte steht, gibt es keinen Vortrieb und das Differenzial ist offen. Grund hierfür ist, dass am durchdrehenden Rad das wirkende Drehmoment einbricht (gegen Null geht) und entsprechend auch jeder Prozentsatz (also der Sperrgrad, hier korrekterweise "Torque Biasing Ratio" TBR genannt) dieses niedrigen Drehmoments Null ist. Daher ist dieses System für den Wintereinsatz bzw. generell für den Einsatz bei stark wechselnden Gripverhältnissen nicht geeignet.
Desweiteren arbeiten diese Einsätze konstruktionsbedingt nur in eine Richtung (also sinnvollerweise nur auf Zug/Gaseinsatz). Eine stabile Antriebsachse beim Anbremsen können diese Systeme also nicht bieten. Sobald man vom Gas geht, öffnet das Differenzial wieder vollständig! Dafür hat man beim Einlenken und bis zum Scheitelpunkt der Kurve keine Untersteuerneigung, dafür ggf. ein recht agiles Heck.
Torsendifferentiale entfalten
ihre Wirkung sehr harmonisch und einfach beherrschbar, da sie eben nur Drehmoment verschieben und nicht wirklich "sperren". Lenken mit dem Gaspedal ist nicht so präzise möglich wie mit einer Lamellensperre. Sofern ein Fahrzeug auf der Bremse auch ohne Sperrwirkung ausreichend stabil ist und eine einfache Beherrschbarkeit von entscheidender Bedeutung ist, kann dieses System eine echte Alternative zur Lamellensperre sein (Langstreckenrennen mit sehr leistungsstarken Fahrzeugen, sehr leistungsstarke Straßenfahrzeuge, im Grenzbereich gutmütige Sportfahrzeuge).
Für die Fahrer von frontangetriebenen Fahrzeugen kommt positiv hinzu, dass die Torsendifferentiale im Vergleich zur Lamellensperre keinen spürbaren Einfluss auf die Lenkung nimmt (da sie eben nicht "sperrt").
Torsendifferentiale werden von den Herstellern als "Wartungsfrei" beworben. Dies heißt allerdings nicht, das sie auch verschleissfrei sind! Sie verschleissen ebenso wie eine Lamellensperre und aus der Erfahrung kann man sagen das ab einer durchschnittlichen Laufleistung von 100.000km im Torseneinsatz ein Spiel vorhanden ist welches bei Lastwechseln als Schlagen wahr genommen wird. Da die Systeme aber "wartungsfrei" sind können sie dann eben nicht repariert werden sondern müssen als Ganzes ersetzt werden.
Viskosperren (viscous, VLSD)
Diese Sperren sind "drehzahl-fühlend" (speed-sensing) und sperren ab einer gewissen und anhaltenden Drehzahldifferenz. Für winterliche Strassen u.ä. ist diese Sperre sehr gut geeignet. Bei Drehzahldifferenz (z.B. wegen eines durchdrehenden Rades) verändert ein spezielles Öl im Sperrkörper seine Viskosität, schränkt das verbaute Lamellenpaket in seiner Bewegung ein und sperrt dadurch das Differenzial variabel.
Neuere Systeme bedienen sich einer
sog. Scherpumpe die proportional zur Drehzahldifferenz einen Hydraulikdruck ebenfalls auf ein Lamellenpaket ausübt.
Großer Nachteil: Sowohl die konventionellen Viskosperren als auch die neueren Scherpumpensperren sind viel zu träge und reagieren zu langsam im motorsportlichen Einsatz. Bis die Sperre endlich einsetzt, ist die Kurve schon längst durchfahren bzw. sind wertvolle Meter verschenkt. Dazu ist die Reaktion der Sperre vom Fahrer schwer vorhersehbar, da die Wirkung nicht direkt übers Gaspedal gesteuert werden kann, sondern eben verzögert einsetzt.
Leider kommt diese Sperre seit dem E46 auch bei den BMW M-Modellen zum Einsatz und wird dort marketingtechnisch als "Variables M-Sperrdifferenzial" verkauft, was das Ganze aber nicht besser macht! Desweiteren ist dieser Sperrentyp bei vielen Nissans ab Werk verbaut worden.
Im Prinzip sind diese Sperren unbrauchbar für den Motorsport und nur mäßig effektiv für normale sportliche Fahrweise. Bei harter Gangart neigen diese Sperren auch noch dazu, in der Sperrwirkung dauerhaft nachzulassen.
Eine Viskosperre ist zwar besser als ein offenes Differenzial, aber kein Ersatz für eine Lamellen- oder Torsensperre!
Anmerkung:
Mit meinen Aussagen zu diesem Sperrentyp und speziell den Variablen M-Sperrdifferenzialen der BMW M-Modelle stoße ich sicher nicht überall auf sofortiges Verständnis und uneingeschränkte Zustimmung. Viele Besitzer von modernen BMW M-Fahrzeugen sind von der verbauten Sperre begeistert. Die Traktionsvorteile gegenüber einem offenen Differenzial sind auch deutlich spürbar. Daher kann ich die erste Verwunderung über meine Kritik auch gut nachvollziehen, speziell wenn der (direkte) Vergleich zu anderen Sperrensystemen (v.a. zu einer Lamellensperre) fehlt. Meine obige Kritik ist Kritik auf sehr hohem Niveau. Aber es besteht kein Zweifel, dass die drehzahlfühlenden Viskosperren aus Performance-Sicht theoretisch und v.a. auch praktisch spürbar einem drehmomentfühlenden Sperrsystem unterlegen sind. Ich will niemanden dazu bekehren, eine andere Sperre in sein neues M-Modell zu bauen, wenn er mit der ab Werk verbauten rundum zufrieden ist. Ich will aber den technisch interessierten Fahrern die Nachteile dieses Systems erläutern und begründen, damit diejenigen die ihr Fahrzeug noch weiter optimieren und auf Performance, Fahrbarkeit und Rundenzeiten trimmen wollen Ansatzpunkte finden. Ich selbst bin E46 und E92 M3 ausgiebig gefahren; auch im direkten Vergleich mit der Lamellensperre. Die Unterschiede waren für mich deutlich spürbar und haben die Theorie absolut bestätigt!
Aktive (elektronisch gesteuerte) Lamellensperren (ETM)
Hierbei handelt es sich um einen Lamellensperrkörper, der nicht wie bei konventionellen Lamellensperren über Druckringe und Drehmoment passiv gesteuert wird sondern der Druck auf die Lamellenpakete (und damit die Sperrwirkung) wird über eine elektronisch gesteuerte Druckplatte generiert. Die Elektronik kann nun permanent alle relevanten Parameter (Geschwindigkeit, Gaspedalstellung, Gierwinkel, Raddrehzahlen, ...) überwachen und situationsabhängig den Druck auf die Lamellen steuern.
In der Theorie ist dieses System die perfekte Sperre die in jeder und auf jede Situation optimal reagieren kann. In der Praxis ist sie allerdings nur so gut wie die Software, welche die Mechanik bzw. Hardware steuert und welches Hauptaugenmerk bei der Programmierung gelegt wurde (Performance, Fahrbarkeit, Traktion, Effizienz, ...). Denkbar ist auch ein "Chiptuning" der Sperre, indem Parameter der Steuerung den individuellen Bedürfnissen bzw. dem Einsatzzweck angepasst werden.
Seit den BMW M5 (F10) und M3/M4 (F80) sowie M2 F87 Modellen kommt dieses System als "aktives M-Sperrdifferential" vom Zulieferer GKN zum Einsatz. GKN nennt das System "Electronic Torque Manager".
Offenes Differenzial (open)
Das offene Differenzial ist in allen Fahrzeugen verbaut, die keinerlei Sperre haben. Es ist also die mit Abstand am meisten verbreitete Variante. Für den Motorsport-Einsatz leider völlig unbrauchbar. Ein Tausch gegen ein Sperrdifferenzial ist eigentlich unausweichlich! Sobald ein Rad Schlupf bekommt und durchzudrehen beginnt, wird das andere Rad (welches noch Grip hätte und Drehmoment übertragen könnte) nicht mehr weiter angetrieben und die ganze Motorkraft verpufft am durchdrehenden Rad. Statt Vortrieb gibt es dann nur noch Reifenabrieb und blauen Rauch.
Elektronische Bremseingriffe
Gerade in modernen, neueren Fahrzeugen kommen vermehrt sogenannte elektronische Sperren zum Einsatz. Was im ersten Moment prima klingt ist allerdings ein mäßig guter Kompromiss mit gravierenen Nachteilen.
Die elektronisch geregelte Sperrwirkung wird nicht über das Differenzial direkt realisiert sondern es kommt hier ein ganz normales offenes Differenzial zum Einsatz. Die Sperrwirkung wird über einen Bremseingriff am durchdrehenden Rad realisiert. Ein durchdrehendes Rad kann in diesem Moment kaum Drehmoment übertragen und verursacht damit auch am anderen Rad einen Drehmomenteinbruch. Das eh an Bord befindliche Elektronische Regelsystem erkennt ein zu schnell drehendes Rad und bremst dieses über einen aktiven Bremseingriff wieder ein. Durch diese Bremswirkung wird das durchdrehende Rad nicht nur verlangsamt sondern es wird auch das dort wirkende Drehmoment erhöht. Da ein offenes Differenzial sein Eingangsdrehmoment immer zu gleichen Teilen auf beide Räder verteilt, kann nun auch an das Rad, welches noch Gripreserven hat wieder mehr Drehmoment übertragen werden als das vor dem Bremseingriff der Fall war.
Dieser Bremseingriff hat aber gravierende Nachteile: Das Drehmoment des gebremsten Rades wird nicht in Vortrieb umgewandelt sondern in Wärme. Die Bremsbeläge der angetriebenen Achse verschleissen je nachdem wie oft die elektronische Sperre eingreifen muss, ggf. sehr schnell. Gerade auf der Rennstrecke kann der Bremsenverschleiss gravierend erhöht sein!
Auch die Temperaturen der Bremsbeläge/-scheiben und der Bremsflüssigkeit können spürbar nach oben gehen und so die Bremsperformance insgesamt spürbar verschlechtern. Und aus Performancesicht wäre es uns natürlich auch lieber, wenn das Drehmoment eben nicht in Form von Wärme verpufft sondern in Vortrieb umgewandelt bzw. dem anderen Rad zusätzlich zur Verfügung gestellt werden könnte. Dies ist aber aufgrund der beschriebenen Wirkweise dieses Systems nicht möglich.
Somit haben diese "Pseudo-Sperren" einen
Sperrgrad von 0% bzw. TBR 1. Das Differenzial funktioniert weiterhin konventionell und folgt der einfachen physikalischen Regel, das immer beide Räder gleich viel Drehmoment bekommen. Wenn beispielsweise während das Rad ungebremst mit wenig Bodenhaftung durchdreht dort noch 30Nm anliegen, bekommt auch das andere Rad nur diese 30Nm ab. Wenn nun das durchdrehende Rad über den Bremseingriff einen zusätzlichen Widerstand bekommt, liegen dort z.B. dann 100Nm an. Nun kann also das andere Rad immerhin auch wieder 100Nm übertragen. In der Summe wirken dann aber leider keine 200Nm für die Längsbeschleunigung sondern der Bremseingriff frisst am inneren Rad ja ordentich Drehmoment.
Dieses elektronische Sperrsystem ist also eher als Nothilfe für schwierige Fahrbahnverhältnisse (Winter, Matsch, ...) zu sehen und weniger als motorsportliches System zur Performancesteigerung.
Der Vorteil für die Fahrzeughersteller liegt bei diesem System natürlich in den minimalen zusätzlichen Kosten. Es sind zur Realisierung lediglich ein paar Zeilen zusätzlicher Programmieraufwand im eh vorhandenen elektr. Regelsystem nötig.
Anmerkung:
Der Begriff "Elektronische Sperre" ist recht weit gefasst. Meine obigen Ausführungen beziehen sich auf die einfachste Variante, die aber leider häufig in normalen und sportlichen Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Es gibt aber auch "echte" aktive Sperrdifferenziale, wo ein spezielles Differenzial elektronisch betätigt bzw. gesteuert wird. Es muss also genau geprüft werden, welches System nun genau verbaut ist, wenn in der Werbebroschüre des Herstellers "Elektronisches Sperrdifferenzial" o.ä. steht. Echte elektronisch gesteuerte Differenziale sind durchaus eine hochwertige Alternative mit ggf. sehr guter Performance.
Starrer Durchtrieb (spool)
Speziell bei reinen Driftfahrzeugen wird das oben genannte offene Ausgleichsdifferenzial an den Ausgleichsrädern zusammengeschweisst. Dies bewirkt einen starren Durchtrieb und somit eine 100% Sperrwirkung, die permanent und unveränderbar anliegt. Heftiges Untersteuern ist die negative Folge. In engen Kehren ist deutliches Rutschen des kurveninneren Rades zu hören und zu spüren. Natürlich ist dies die preiswerteste Lösung eines gesperrten Hinterachsdifferenzials aber zweifellos auch die mit den größten Nachteilen. Wenn überhaupt, dann nur für reine Driftautos sinnvoll!